Wollen Sie sich irgendwo festhalten? Oder verstecken? Oder erwarten Sie, mit faulen Eiern beworfen zu werden?
In welchem Zeitalter das Stehpult für Vorträge erfunden wurde, darüber habe ich im Internet keine Informationen gefunden. Was im modernen Büro als Ergänzung zum Schreibtisch sicher sinnvoll ist, hat bei einem Vortrag nur einen logistischen Nutzen: Sie können ein Manuskript ablegen, das Sie allerdings ohnehin im Kopf haben sollten. Oder ein Glas Wasser abstellen. Wenn Sie aber so lange reden wollen, dass Sie das wirklich brauchen, dann sollten Sie Ihren Vortrag auf jeden Fall noch einmal kürzen.
Meine Vermutung ist, dass Rednerpulte aus der Zeit stammen, in der zwischen dem Redner und dem Publikum ein großer hierarchischer Abstand herrschte oder hergestellt werden sollte. Denn dieses Möbel tut vor allem eines: Es zieht eine Barriere zwischen Ihnen und Ihrem Publikum.
Und es legt auch eine Unsicherheit des Vortragenden nahe. Freie Reden aus dem freien Stand wirken immer lebendiger, als wenn sich der Redner am Stehpult festklammert und damit auf einen Platz reduziert ist. Seit der Erfindung des drahtlosen Mikrofons ist auch das Mikrofon-Kabel kein Argument mehr für ein Stehpult.
Ich empfehle Ihnen also ganz eindeutig: Wagen Sie sich aus der Deckung! Stehen Sie bei Ihrer Präsentation für sich selbst! Nehmen Sie Kontakt zu Ihrem Publikum auf und verzichten Sie auf die künstliche Abgrenzung eines Stehpultes!
Im Mittelalter war die gesellschaftliche Etikette vielleicht noch nicht so weit entwickelt wie heute – da musste ein Redner mit einem unpopulären Thema noch damit rechnen, mit faulen Eiern oder Schlimmerem beworfen zu werden. Diese Zeiten sind heute aber in der Regel vorbei – und damit auch die Zeit der Rednerpulte…
Ihre Carola Kamuff